Zu den Arbeiten von Susanne Ring
Susanne Rings künstlerisches Schaffen setzt sich thematisch mit fundamentalen sozialen Strukturen und Gruppierungen der Gesellschaft auseinander. Die fixierten Arbeitsfelder greifen im Besonderen menschliche Komponenten auf, wie Sinnfragen des Lebens, emotionale Extreme oder das Zusammenleben von Altersgruppen, und zielen darauf ab, deren Verankerung in gesellschaftlichen Institutionen oder Vorgängen zu verdeutlichen. Beziehungskonstellationen aus dem persönlich-biografischen Umfeld werden ebenfalls hinterfragt und zu exemplarischen Leitgedanken.
Susanne Rings vielseitiges Werk umfasst im Schwerpunkt Malerei und Kleinplastiken, die im Gesamtkontext von Ensembles entstehen. Der Begriff „Ensemble“ meint hier übergeordneten Sinn das immer neue Zusammenfügen von unterschiedlichen Einzelarbeiten aus dem Gesamtwerk und die Kombination verschiedener Materialien im jeweiligen adäquaten Raumbezug. Im Einzelnen autonom greifen die unterschiedlichen Werkgruppen im Wechselspiel inhaltliche und thematische Schwerpunkte auf. Die Figuren, einen Fundus dar, aus dem Susanne Ring immer wieder neue Konstellationen schafft. Der Werkzyklus der Plastiken ist offen und vielen Veränderungen unter-worfen. Die Zusammenstellung der Figurengruppierungen vollzieht sich weitaus drastischer.
Sie werden ausgetauscht oder verwandeln sich nach Zerschlagung in neue Gestalten, andere Charaktere der Ensembles. Die Plastiken entstehen aus Keramik, Stein und Holz, auch durch Verwendung von kombinierten Materialverbindungen. Massive Aufbrüche der Körper, tiefe Einschnitte oder schützende Überformungen unterstreichen ihre Ausdrucksintensität. Nichts wird beschönigt, verschwiegen oder abgemildert. In archaischer Härte, schroff oder abweisend, kurios und ironisch, jedoch auch versöhnlich und hoffnungsvoll, treten dem Betrachter die Figuren entgegen.
Das keramische Material transportiert indirekt die Vorstellung von Kitsch und Kunsthandwerk.
Diese „Hypothek“ kommt der inhaltlichen Aussage entgegen, formuliert „Keramik“ doch auch die Sehnsucht des Menschen nach dem Unbeschädigten, Intakten und Sentimentalen. Im Material wird diese gedankliche Ebene als Ausdruck eines sozialen Gefüges direkt transportiert. Die radikalen Brüche auf der Materialebene, die Susanne Ring vollzieht, lassen vergessen, dass es sich um Keramik handelt. Unbewusst nimmt der Betrachter den vertrauten Werkstoff jedoch wahr.
Die Kleinplastiken entstehen ohne konkrete Vorstellung, rein intuitiv, in einer Atmosphäre ungelenkter, unbewusster Imaginationen, ausgelöst durch spontane sekundenschnelle Eindrücke des Alltags, und der Beschäftigung der Künstlerin mit konkreten Themenbereichen Aus einem imaginären Bewusstseinsstrom tauchen die Figuren als Wesen einer Zwischenwelt auf, vereinen assoziiertes und erinnertes. Trotz ihrer menschlichen Proportionen treten sie dem Betrachter nicht als eigenständige, personalisierte Abbilder der Realität entgegen. Die Plastiken Susanne Rings sind Portraits der Innerlichkeit, die aus deren eigenen sozialen Gefüge erwachsen. Scheinbar spielerisch reflektieren sie die unterschiedlichen Charaktere menschlicher Existenz. Da die Figuren oft keine Arme haben, bilden ihre ausdrucksvollen Gesichter elementarer Zugang zu ihnen. Innerhalb der Ensembles entstehen Interaktionen nicht durch nachvollziehbare Handlungen oder durch eine direkte Bezugnahme. Die Art und Weise der Anordnungen und Konstellationen leitet in Verbindung mit Kopf und Gesicht zu Blickachsen mit dem Betrachter. Die expressiven Körperhaltungen und Gesten sind bildnerischer Ausdruck von Kreatürlichem und Archaischem. Veränderungen und Wandelungen sind bestimmende Elemente im Werk Susanne Rings. Sie verändert die Ensembles, wenn sie auf Erlebtes zurückblickt. Das was sie bewegt, thematisiert sie inhaltlich immer neu und anders. Folglich wandern Figuren in Gruppen hinein oder gehen hinaus. Sie werden zerstört und umgebaut, erscheinen mit bekannten Köpfen in neuer Gestalt oder verschwinden ganz. Sie sind instabil und fragmentarisch.
Die Verwandlung der Ensembles ist künstlerisch gewollt und fordert aber auch in besonderer Weise die Kreativität eines Kurators. „Ensemble“ ist auch im Sinne von „passager“ zu verstehen, das
Kunstwerk als vorübergehend Momentaufnahme zu deuten. Der Kurator soll bewusst neu inszenieren, eine Neuinterpretation vornehmen, eingebunden in spezifische gesellschaftliche Strukturen.
Unterschiedliche soziale Konstellationen und momentane situative Kontexte verstärken das Element des Wandelbaren, der Veränderung, des nicht Statischen.
Thematisiert wird hier spielerisch die
Problematik von Leben und Tod oder die Frage nach dem Ursprung und dem Ziel der menschlichen Existenz. Der Verweis auf die Endlichkeit ist allgegenwärtig. Deshalb erscheinen die Figuren des
Ensembles knochig, wenig farbig, fast skelettiert. Die zumeist fehlenden Gliedmaßen verweisen auf den unaufhaltsamen Prozess der Alterung und des Zerfalls. Die Proportionen spielen dabei eine
wichtige Rolle. Der Betrachter kann Abbildungen von sozialen Konstellationen innerhalb der Ensembles erkennen.
Susanne Rings Ensemble können als Sinnbild der menschlichen Existenz aufgefasst
werden. Susanne Rings Begriff von Bildhauerei erwächst aus einer starken inneren Anteilnahme und Emotionalität für menschliche Befindlichkeiten, Lebensgeschichten oder Alltäglichkeiten und
fordert den Betrachter zum Dialog über die Veränderlichkeiten der eigenen Existenz auf.
Jutta Meyer zu Riemsloh